Zurück-bleibendes

Ja, zurück ist zurück. Und das bin ich wieder. Zurück aus Prag, zurück von der Wanderruderfahrt von Prag nach Dresden, zurück vom Gleiten über Moldau und Elbe, zurück aus Dresden und auch zurück vom Erkunden.

Zurück bleibt was?

Vieles.

Zum Beispiel: Wie offensichtlich sichtbar westlicher Wohlstand (ehemalige DDR) im Gegensatz zu einem weniger westlichen, aber noch immer westlichem Land (Tschechische Republik) ist. Einige 100 Meter unterhalb der Grenze erstrahlt die Welt in einer anderem Glanz als einige Meter oberhalb dieser Trennlinie. Eindrücklich. Und auch erschreckend.

Oder: Dresden ist eine vielfältige Stadt mit Vergangenheit. Die verherende Kriegsnacht  vom 13. auf den 14. Februar 1945, als die kulturhistorische Stadt durch britische und US-amerikanische Bomben grossflächig in Schutt und Asche gelegt wurde, weil Piloten ausführten, was Strategen befahlen, ist trotz Wiederaufbau präsent. Sicht- und erfahrbar für jene, die sich dafür interessieren oder einfach (nur) schön und mächtig, wer bloss Fassaden wahrnehmen will.

Oder: Die Dresdner Bevölkerung, so macht es den Anschein, ist weniger gestresst. Die omnipräsente «handy-rei» gibt es (noch) nicht. Dafür gibt es auffällig viele Menschen, die sich aufs Gegenüber einlassen – auch auf Fremde – oder mit Kindern entspannt spielen, ohne dass das Begegnen durch Klingeltöne abrupt unterbrochen oder gar zum permanenten Hinderniss wird.

Und: Wer offen ist, Geschichten zu hören, erfährt so vieles – in den Kaffees, in den Ausstellungsräumen von Gemäldegalerien oder so wie wir von den beiden Frauen des Rudervereins Dresden, die uns spontan zum Rudern auf der Elbe mitgenommen haben. Die eine ist 61-jährig, die andere, diejenige mit 150 Siegen, 76-jährig. Beide sind in ihren Alterskategorien noch aktive Wettkampf-Ruderinnen. Sie erzählen von damals. Sie reden von heute. Den Zugang ermöglichte uns eine andere Ruderin. Auch sie erlebt(e) die gegensätzlichen Welten von Sozialismus und Kapitalismus. Unsere Neugier, unser Zuhören und unser Fragen machen uns alle gesprächig und schaffen den Boden für nachhaltige Bekanntschaften.

Zurückblickend einmal mehr die Erkenntnis: Eine Pause ist nicht nichts und deshalb tut auch eine Schreibpause so richtig gut, da es beim blossen Hinhören, beim Hinsehen und sich Zeit lassen so viel Spannendes und Bereicherndes zu entdecken gibt.

Kurzum: Zurückbleibendes.

reisen

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«Eine Pause ist nicht nichts» – schon einmal habe ich diesen Satz zitiert.

Nun wieder.

Mit Doris bin ich unterwegs nach Prag. Wenige Tage. Danach geht’s im Ruderboot weiter – auf dem fliessenden Gewässer von Prag nach Dresden, zusammen mit einer Gruppe.

Wir freuen uns – auch auf diesen Weg.

Vielleicht gibt’s von unterwegs Bilder und/oder Text – wer weiss. Jedenfalls wünsche ich allen eine gute Zeit. Barbara

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Und dann erwartete mich Ende letzter Woche schon wieder so ein Tag – aufstehen und nicht mehr wissen, als dass ich mit Rudern in den Tag starten werde. Was sich sonst noch ergeben wird, ist mir zur Zeit, als ich mich im Bett mental auf die Fahrt im Skiff über den Bodensee einstelle, weil rudern, auch wenn es grau und trüb ist, noch nicht klar. Ich gehe aber davon aus, dass ich anschliessend erneut auf den Surfmodus schalten und «das Leben auf mich regnen lassen» werde. (Danke Silke für dein Foto.)

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Der See ist so hoch, wie ich ihn noch nie gesehen habe.

Als ich nach meiner Ruderfahrt am Steg anlege, steht auf der Wiese des Ruderclubs mein Arboner Freund, mit dessen Hilfe ich im April das Insektenhotel realisierte. Er schaut besorgt auf die Wassermasse des Bodensees, die sich bedrohlich dem Land fressenden Pegel nähert. «Seit heute Morgen gilt Warnstufe 4», sagt er. Das zuständige Amt habe zudem die Vorhersage nach oben korrigieren müssen. Die Wasserfläche werde in den nächsten zwei Tagen nicht um 2o Zentimeter, sondern um das Doppelte ansteigen.

Er, der das Hochwasser von 1999 schon erlebte, hat bereits das Notwendige organisiert, um die Barrikade gegen das vordringende Wasser zu bauen. Vor dem Klubhaus liegen Bretter, Plastik, Pfähle, Hammer. Auch Sandsäcke sind geordert. Er alleine, ohne Unterstützung.

Ich packe mit an, helfe und am Abend haben wir – er und ich – das Ziel erreicht. Nicht ohne Stolz schauen wir auf das Erarbeitete, das entstehen konnte, weil mir am Morgen noch nicht klar war, wie ich mein Tagesgefäss füllen werde.

Surf-sei-dank.

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steigender Pegel – Samstag / Sonntag:

surfen

Wir haben vor Jahrzehnten zusammen das Büro geteilt, weil wir für dieselbe Redaktion Filmgeschichten realisierten. Er war damals schon ein begeisterter Fahrradfahrer. Mit seinem Rennvelo überquerte er Pässe – und zwar, wenn er mal loslegte, nicht nur einen. Dann zogen wir weiter, beide zu einer andern Sendung und sahen uns dadurch nur noch selten. Er war, was das Denken und Handeln anbelangte, immer ein Alternativer, ein Radikaler. Trotzdem schaffte er den Hierarchieschritt und blieb dennoch ein toller Kollege.

Und nun steht er, mit einem Bier in der Hand, angelehnt an einen Türpfosten und ich stolpere beinahe über seine Füsse. Eine gefühlte Ewigkeit ist’s her, seit wir uns letztmals sahen. Umso mehr freuen wir uns über das unverhoffte Zusammentreffen. Auf seine Frage «was machst du?», sage ich, was ihn wiederum nicht erstaunt: «Ich bin pensioniert.» Allerdings, ergänze ich, bin ich nicht mehr aktiv wie du. Denn er, 10 Jahre älter als ich, blieb nach seinem Abgang aktiv und realisierte noch regelmässig Filme – meist für Hilfswerke.

Das war einmal, meint er. Inzwischen habe er sogar sein Top-Rennrad seinem Sohn vermacht. Zu viele seiner inzwischen ebenfalls alten Kollegen seien mit dem Fahrrad gestürzt und mit gebrochenen Knochen im Spital gelandet. Vernünftig, denke ich und sage: «Da habe ich es mit Rudern einfach besser – aber nur solange ich es noch schaffe, ins Boot zu sitzen». Und schliesslich landen wir wieder beim Arbeiten, weil ich wissen will, womit er sich derzeit auseinandersetzt. Er mache nichts mehr, er habe aufgehört, erzählt er mir. Doch seitdem gebe es oft Tage, sagt er, wo er sich frage: «Und? Was mache ich heute?»

Um mit dieser Frage zu erwachen, erwiedere ich, muss nicht erst 74 werden, wie du. Dieses Gefühl kenne ich schon heute, mit 65. Wir lachen. Er bleibt mit dem Bier in der Hand stehen und ich surfe weiter durch meinen Tag.

 

 

 

 

Hauptstadt

Recht erstaunt war ich unlängst, als meine Schwester bemerkte, dass sie, wenn sie 20 Jahre jünger wäre, ebenfalls mit Rudern beginnen würde. So was!

Zwar liebte meine Schwester als junge Frau das Spiel mit dem Ball. Tennis war ihr Ding. Doch dann kamen die Kinder, die ihr viel Beweglichkeit abforderten und somit blieb für die sportliche Herausforderung fast keine Lücke mehr; einzig das Skifahren gab sie erst altershalber auf. Dennoch: Die Freude an der selbstgesuchten Anstrengung verlor sich bei ihr immer mehr, bis sie die Begeisterung dafür vor wenigen Jahren wieder fand. Seitdem unternimmt sie ausgedehnte Entdeckungsreisen mit dem elektrisch unterstützten Fahrrad.

Die Geschichte vom Rudern erzähle ich Doris, als sie mich zum Bahnhof fährt – ja, mit dem Auto, weil ich absolut keine Lust verspüre, zu Fuss dahin zu kommen. Als Fazit der der schwesterlichen «wenn …, dann …» Bemerkung, sage ich, dass es im Leben offensichtlich Abschnitte gibt, in denen man für etwas zu alt oder zu jung ist und zeige mit der Hand auf die gebrechliche Frau, die altersbedingt am Rollator geht: «Dafür bin ich momentan defintiv zu jung.»

Auf dem Bahnsteig komme ich nochmals aufs Thema zurück, weil es Doris war, die mich unterstützte, als ich mich kurz entschlossen entschied, für wenige Tage nach Paris zu reisen.

Was mich schon erneut auf Achse bringt? Beziehungsweise dahin zieht?

Es ist «l’Intensité d’un regard», die Intensität eines Blickes. Im «Musée d’Art Moderne» sind zur Zeit 120 Bilder der mit 31 Jahren verstorbenen, deutschen Künstlerin Paula Modersohn-Becker, die wesentlich die Kunst des 20. Jahrhunderts beeinflusste, ausgestellt. «Es gibt Dinge», sage ich zu Doris in diesem Zusammenhang, «für die ist man weder zu alt und noch zu jung, sondern im genau richtigen Alter – egal, ob jung oder alt.»

So bin ich nun auf dem Weg dahin, wo ich eigentlich mit meiner Schwester hinfahren wollte. Doch ihre Agenda war mit meiner nicht kompatibel, oder meine nicht mit ihrer. Schade. Aber weil ich weder aufschieben noch begraben will, was ich will – unter anderem auch aktives Auftanken neuer Eindrücke – reise ich nun alleine in die Hauptstadt Frankreichs – ein halbes Jahr nach dem Massaker im Theater Bataclan und zwei Wochen vor dem Eröffnungsspiel der Fussball Europameisterschaften.

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weit

Die Rissigkeit des weissen Duvetgewebes deckt den grossen Flick, den ich mit dem Bügeleisen angeklebte, eher schlecht als recht. Und einen Waschgang später zeigt sich die Brüchigkeit des Stoffs noch woanders. Ich lasse es dabei bleiben, packe den dazugehörenden Kopfkissenbezug ein, weil ich beim selben Weiss schon einmal erlebte, dass das Weiss kein klares Weiss ist. Ich fahre zum Fachgeschäft und bestelle vom selben Hersteller einen neuen Bezug.

Die Verkäuferin hat Mühe im Katalog die entsprechenden Angaben zu finden. Sie fragt, ob ich mich einen Moment gedulden könne.

Aber ja, antworte ich. Schliesslich habe ich ja dauerferien.

Sie stutzt, schaut mich an, schon fast verschwörerisch und entgegnet: «Ich auch. Demnächst.» In eher suggestivem als fragendem Tonfall meint sie, ich würde es sicher geniessen.

Und ich – ich gebe meinen Standartsatz zum Besten: Nicht nur.

Dies wiederum kümmert sie nicht. Sie erzählt, was sie neben ihrer Tätigkeit als Verkäuferin sonst noch alles macht – Inneneinrichtungen als gelernte Dekorateurin. Und dann auch noch reisen – zum Beispiel «Venedig, vor einer Woche».

Ich auch – Vogalonga.

Nun flippt sie beinahe aus. Auch sie ist Ruderin. Allerdings reiste sie bereits am Vortag des Events, von dem ich heute noch zehre, wieder nach Hause.

An der Kasse dann, als es ums Bezahlen geht, erzählt sie in einer Ernsthaftigkeit, was sie nach der Pensionierung alles machen wird – «wenn ich daran denke, dass mir nur noch 40 Jahre bleiben, muss ich mich beeilen», sagt sie zugleich begeistert und auch entsetzt. Ich meine darauf lakonisch, dass ich schon 20 aktive Jahre viel fände, dann wäre ich ja bereits Mitte 80.

Die Verkäuferin, in einem Jahr pensioniert, erschrickt. Das hat sie sich noch nie so konkret überlegt.

Das gefühlte und biologische Alter klaffen bei ihr ganz offensichtlich weit auseinander, jedenfalls weiter als bei mir.

722

Es ist tatsächlich so, wie alle bereits im Voraus prophezeiten: Die Vogalonga kann nicht übertroffen werden. Diesen, in nichts zu übertreffenden, farbenfrohen Anlass muss jede Ruderin, jeder Ruderer wenigstens ein Mal erlebt haben. So überheblich sich die Aussage auch anhören oder lesen mag, inzwischen gebrauche auch ich die Formulierung so überzeugend wie alle andern, die die «Weihe» hinter sich haben!

Die Stimmung in Venedig, das jeweils am Pfingstsonntag zum Mekka der Ruderwelt wird, ist schlichtweg einmalig. Tausende von Menschen jubeln, grölen, klatschen, pfeifen zu Land und auf dem Wasser, wenn es morgens, Punkt neun Uhr, am Markusplatz böllert und sich die 1800 international besetzten Boote auf die Stecke, die über Burano und Murano führt, aufmachen. Und Tausende von Menschen jubeln nochmals, wenn 30 Kilometer und einige Stunden später all die Teilnehmenden in ihren teilweise geschmückten und beflaggten Ruderbooten, Kanus, Drachenbooten, Gondeln … im Canale Grande dem Ziel entgegen rudern. Ein unvergessliches Erlebnis – auch als unserer Crew von der schwimmenden Insel aus, das Zielhaus auf Höhe des Markusplatzes, zum Andenken Medaillen zugeworfen werden und es kurz darauf aus dem Lautsprecher scheppert: «Mit der Nummer 722 – Dora, René, Reto, Doris, Barbara!»

Um ehrlich zu sein, da spüre ich bereits zum zweiten Mal die Gänsehaut auf meinem Körper.

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Pause

«Eine Pause ist nicht nichts.»

(«piano forte» von Ruedi Häusermann)

Nein, das ist wirklich nicht nichts. Bei mir sind während des Pausierens immerhin Venedig und die 42. Vogalonga – DAS Ruderfest – angesagt! Von überall her kommen ähnlich «Gepickte», um dabei zu sein. Bis ich es schaffte, ebenfalls zum Mekka der Rudergemeinschaft zu reisen, wurde mir mehrmals gesagt, dass zu einem wirklich richtigen Ruderinnenleben mindestens eine Teilnahme an diesem Mega-Event  gehört. Aber nicht in meines – das war bis 2016 meine Haltung.

Doch Vorsätze sind unter anderem dazu da, um über den Haufen geworfen zu werden. Und nun freue ich mich ungemein, dass ich nach 20 Jahren rudern, endlich auch dazu gehöre.

Mit Hunderten Hergereister werde ich zusammen mit meinen Kolleginnen, Kollegen und mit Doris dann ganz zum Schluss, sofern es das Wetter erlaubt, durch den Canale Grande rudern – im Pulk, ohne dass uns dabei zusätzlich noch motorisierte Schiffe stören können. Denn dies war die ursprüngliche Idee der Vogalonga – friedlich und farbenfroh für den motorlosen Verkehr und gegen die Verschmutzung der Lagunenstadt zu manifestieren.

Und deshalb gilt für mich, in minimal abgewandelter Form, was Ruedi Häusermann bereits einmal formulierte: Eine Pause ist nicht nichts – auch eine Blogpause nicht.

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Ausschnitt von «Bilder zu vogalonga»

August

Wenn eine Pensionierte einen Pensionierten anruft, um mit ihm sprechen zu können, kann es unter Umständen lange dauern, bis der Gesuchte antwortet und nicht nur die aktivierte Stimme, die einem bittet, nach dem Pips eine Mitteilung zu hinterlassen.

Es dauerte drei Tage! Ehrlich. Drei Tage dauerte es, bis wir, die beiden Pensionierten – ich die eine, er der andere –  miteinander reden konnten.

Selbstverständlich hat auch er es versucht, nicht nur ich. Und auch er hat es nicht geschafft, mit mir in direkten Redekontakt zu kommen. Einmal sass ich als Beifahrerin im Auto, auf dem Weg zum Vollmondrudern, und wollte deshalb nicht sprechen. Ein anderes Mal stand ich in Basel im neueröffneten Kunstmuseum und hatte auf «nicht stören» gestellt.

Doch nun, endlich, zwischen morgens um sechs bis gegen zehn Uhr, wie er mich via Combox wissen liess, erwartet er meinen Anruf. Ich versuche es um halb-acht, da ich es doch etwas gar früh finde, mich noch früher, aber immer noch im erwünschten Zeitslot,  zu melden.

Ich wähle, es läutet nicht – ach, doch schon wieder weg bei diesem strahlenden Morgen, denke ich -, stattdesen begrüsst mich die fröhlich, freundliche Männerstimme mit einem «Ja?, Hallo!».

… wenn zwei Pensionierte sich treffen wollen, sage ich als erstes, kann es etwas länger dauern … «Weisst du», gibt er fast entschuldigend zur Antwort, «ich bin halt viel unterwegs.»

Kein Problem, schliesslich geht es nur ums Rudern rund um den Thunersee Ende August 2016 – das dann doch.

Als ich Doris die Geschichte vorlese, kommt nach «2016 – das dann doch» einfach keine Reaktion. Ich frage, worauf wartest du, das ist das Ende.

Aha.

Sie wartet, weil sie mehr erwartet. Ich beginne zu erläutern und weiss während meines Ausführens, dass Geschichten, die sich nicht von selbst erklären, nicht die besten sind. Und deshalb schreibe ich nach dem Telefongespräch an meinem «August»-Blog noch weiter, doch auch dies macht ihn nicht gut. Ich lasse es sein und denke, die nächste Chance auf eine von mir besser komponierte Geschichte kommt bestimmt.