gehen (2)

thumb_thumb_Bildschirmfoto 2016-06-28 um 17.11.20_1024_1024… im Sinne von: Distanz überwinden … realer, fiktiver …

… im Sinne von: Situation verändern … innerer, äusserer …

… im Sinne von: sich etwas anderem aussetzen … Erfahrungen sammeln …

… im Sinne von: sich Neuem, Ungewissem zuwenden …

Europa

Soeben habe ich beim Surfen durchs Netz einen Link entdeckt:

PJ Harvey, eine der wichtigsten englischen Künstlerinnen, unterbrach ihre Show und trug ein Gedicht des von 1572 – 1631 lebenden britischen Schriftstellers Johne Donne vor. Hier die deutsche Übersetzung, des von PJ Harvey als Statement vorgetragenen Gedichts:

„Niemand ist eine Insel,
in sich ganz;
jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents,
ein Teil des Festlandes.
Wenn eine Scholle ins Meer gespült wird,
wird Europa weniger,
genauso als wenn’s eine Landzunge wäre,
oder ein Landgut deines Freundes
oder dein eigenes.
Jedes Menschen Tod ist mein Verlust,
denn ich bin Teil der Menschheit;
und darum verlange nie zu wissen,
wem die Stunde schlägt;
sie schlägt dir selbst.“

rotweiss

Nachdem meine langjährigste Freundin und ich am Samstag in Kopenhaben beim Public Viewing zwei Halbzeiten und eine Verlängerung lang für die in  rotweiss spielende Schweizer Nationalmannschaft mitfieberten, zum Schluss «unsere» Jungs im Penaltyschiessen um ein Goal schlechter waren und alles Hoffen auf eine Fortsetzung der erfolgreichen EM-Geschichte im Ausscheiden endete, wähle ich für heute rotweisse Bilder aus der Welt der Kultur und nicht des Fussballs.

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Ausschnitt: Alex Da Corte, «Borderland», Lousiana Musum of Modern Art

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Mauerwerk, Louisiana Museum of Modern Art

suchen

Louisiana heisst das Museum, das an der Öresund-Küste eine halbe Zugsstunde ausserhalb Kopenhagens liegt, und, bei mehreren Tagen Aufenthalt in der Stadt, unbedingt als Topziel eingeplant werden sollte. Nach zwei Tagen Aufenthalt in der dänischen Hauptstadt machen wir, wozu der Reiseführer rät.

Meine langjährigste Freundin und ich, seit Berlin wieder einmal für mehrere Tage gemeinsam unterwegs, reisen nicht ohne Anlaufschwierigkeiten aus der Stadt. Erstes Hindernis ist nicht etwa bei soviel Fahrradverkehr, heil die Strasse zu überqueren, sondern zu einem Ticket zu gelangen. Hier, wo alles auf dänisch erklärt ist, wird die Kreditkarte nicht wie bei uns nach dem Geld-Melkvorgang automatisch ausgespieen und anschliessend auch nicht die Fahrkarte anhand unterstützender Hinweisblinkereien zum Aushändigen ins Fach befördert. Wir probieren, aber schaffen unser Vorhaben erst unter professioneller Anleitung. Dabei realisieren wir, was falsch lief. Wie viele Karten es letztlich sind, die wir ohne Hilfe kauften, ohne sie je in den Fingern gehalten zu haben, werden wir erst Ende des Monats beim Kontrollieren der Abrechnung erfahren …

Nun gut – wir reden uns auf der Fahrt zum Museum den Ärger weg.

Das Gelände des Louisiana Museums ist ein traumhafter Ort. Wir entdecken Eindrückliches, auch von bis anhin Unbekanntem. Dazu zählt Pia Arke (1958 – 2007). Über sie ist selbst im Netz nur Minimalstes zu finden. Die Mutter von ihr ist eine Grönländerin, der Vater ein Däne.

Die in Kopenhagen ausgebildete Künstlerin, dokumentierte unter anderem das Leben der Einheimischen und fand für die postkoloniale Auseinandersetzung in der Fotografie und Kartografie ihre eigene Kunstform. thumb_IMG_2756_1024   (Unten ein Ausschnitt des fünfteiligen Bildes.)thumb_IMG_2757_1024

Auf dem Rückweg holen mich die beiden jungen Menschen, die neben mir im Zug sitzen, zurück ins aktuelle Europa. Sie reden engagiert über Brexit und die fallenden Börsenkurse. Ich hoffe mit ihnen, dass ihre Ängste um die Zukunft ihrer Generation nicht eintreffen werden und ihre Leben dadurch nicht so geprägt werden, dass sie für deren Verarbeitung  nicht wie Pia Arke eine Kunstform suchen müssen.

 

 

Vielfalt

Über meine beiden, um eine Generation älteren Freunde habe ich oft und viel geschrieben – auch schon ein ganzes Buch. Diese um einige Jahre zurückliegende Zusammenarbeit hat uns Nähe, Vertrauen, Verbundenheit geschenkt.

Seitdem sehen und hören wir uns regelmässig, zwar nicht häufig, aber so, dass die Verbundenheit hält. Sie wissen, wo ich im Leben stehe und ich, wie sie unterwegs sind.

An der Gay Pride sah ich nur den einen, weil der andere krank im Bett lag und auch der Dritte in ihrem Bund kränkelte. Er fühle sich ebenfalls nicht so fit, wie sonst, sagt er mir im Getümmel der Regenbogenfamilie. Deshalb höre er sich bloss die Reden an, danach verschwinde er gleich wieder. Mehr liege diese Mal nicht drin.

Die Grippe hat ihn, den Robusteren der beiden Gleichaltrigen, dann doch auch noch erwischt. Als ich telefoniere, lacht er schelmisch – nun sei alles überstanden. Ganz seinem Charakter entsprechend, sieht er in Kranksein und Genesen vor allem das Gute. Er sagt, in seinem Alter würden die Kräfte vorzu schwinden. Und nun, endlich, spüre er seit langem wieder einmal, das Erstarken. «Das ist ein super Gefühl!»

Ich lerne vom inzwischen 86-jährigen Männerpaar vorzu. Auch weil sie, ganz im Gegensatz zu meinen Eltern damals, sich nicht mit einer Mauer vor Blicken schützen, die  in ihren Garten des Lebens schauen und mich teilhaben lassen an der Vielfalt, auch des Blühenden und Verblühenden.

 

schliesslich

«Konzept»

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(siehe 21.6.)

Wer gestern dauerferien lesen wollte, sah weiss. Möglicherweise fragtest du dich, was soll das? Möglicherweise sahst du im gerahmten Weiss, was du wolltest – auch Inspirierendes oder nichts. Möglicherweise wundertest du dich einfach über mich, die Blogschreiberin.

Zu «Konzept» animierte mich die «Manifesta», eine drei Monate dauernde Kunst Biennale, die unter diesem Markennamen alle zwei Jahre in einer andern Stadt gastiert. Nach St. Petersburg, Rotterdam, Nikosia … wurde für die elfte Ausgabe Zürich auserwählt und über alles ein echt zürcherisches, bzw. schweizerisches Thema gesetzt, das – oh, wie überraschend – «What People do for Money» lautet.

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Möglicherweise auch einen Kopfstand.

Nun gut, die Idee, die hinter Manifesta steht, gefällt mir. Die auf dem Zürichsee schwimmende Plattform ist toll, auch anderes. Wie zum Beispiel die Auseinandersetzung zwischen Kunstschaffenden und Berufsleuten, die sich zusammenfinden, um Erfahrungen aus Arbeitswelt und Kunst in Künstlerisches umsetzen.

Aus der Begegnung zwischen Jorinde Voigt  und meinem Ruderkollegen Melchior Bürgin, Bootsbauer und mehrfacher Europa- und Weltmeister im Rudern, ist bei der Auseinandersetzung «Stress und Freiheit» entstanden – zum einen zu sehen in der Werkstatt, zum andern im Museum (siehe Bild).

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Im selben zeitgenössischen Zürcher Museum ist auch Kunst zu sehen, die vor Jahren geschaffen wurde. Diese hängt wie Wäsche zwischen Eisenstangen.

Auch hier lasse ich das Aufgehängte auf mich wirken uind versuche zu lesen, was Texte und Beschriftungen zusätzliches aussagen. Doch bei «Manifesta 11» muss ich dafür – Ausnahmen bestätigen die Regel – entweder auf die Zehnspitzen oder in die Knie.

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Ärger.

Ich konfrontiere die junge Frau, die alles überblickt. Ich frage sie, ob diese unmögliche Beschrifterei Konzept sei: «Will Manifesta manifestieren, dass diejenigen die nach Herkömmlichem suchen, für Geld selbst in die Knie gehen?» (A-propos: die Saisonkarte kostet 150 Schweizer Franken und die Tageskarte 25 Franken).

Daraufhin lächelt sie. Ihre Augen leuchten begeistert, als hätte ich den Nagel auf den Kopf getroffen. Ihre tiefgründig formulierte Antwort bleibt indessen nichtssagend. Aber ihr Tonfall hört sich an, als sei ich eine richtige Sachverständige und Kunst-Intelektuelle.

Was soll’s, wir haben jedenfalls miteinander geredet, auch das ist Konzept und schliesslich lassen wir einander beide im Glauben zurück, dass wir das Gesagte glauben. Oder will mich Manifesta, darin bestärken, dass schliesslich alles Konzept sein kann.

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Wer weiss.

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Und dann erwartete mich Ende letzter Woche schon wieder so ein Tag – aufstehen und nicht mehr wissen, als dass ich mit Rudern in den Tag starten werde. Was sich sonst noch ergeben wird, ist mir zur Zeit, als ich mich im Bett mental auf die Fahrt im Skiff über den Bodensee einstelle, weil rudern, auch wenn es grau und trüb ist, noch nicht klar. Ich gehe aber davon aus, dass ich anschliessend erneut auf den Surfmodus schalten und «das Leben auf mich regnen lassen» werde. (Danke Silke für dein Foto.)

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Der See ist so hoch, wie ich ihn noch nie gesehen habe.

Als ich nach meiner Ruderfahrt am Steg anlege, steht auf der Wiese des Ruderclubs mein Arboner Freund, mit dessen Hilfe ich im April das Insektenhotel realisierte. Er schaut besorgt auf die Wassermasse des Bodensees, die sich bedrohlich dem Land fressenden Pegel nähert. «Seit heute Morgen gilt Warnstufe 4», sagt er. Das zuständige Amt habe zudem die Vorhersage nach oben korrigieren müssen. Die Wasserfläche werde in den nächsten zwei Tagen nicht um 2o Zentimeter, sondern um das Doppelte ansteigen.

Er, der das Hochwasser von 1999 schon erlebte, hat bereits das Notwendige organisiert, um die Barrikade gegen das vordringende Wasser zu bauen. Vor dem Klubhaus liegen Bretter, Plastik, Pfähle, Hammer. Auch Sandsäcke sind geordert. Er alleine, ohne Unterstützung.

Ich packe mit an, helfe und am Abend haben wir – er und ich – das Ziel erreicht. Nicht ohne Stolz schauen wir auf das Erarbeitete, das entstehen konnte, weil mir am Morgen noch nicht klar war, wie ich mein Tagesgefäss füllen werde.

Surf-sei-dank.

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steigender Pegel – Samstag / Sonntag:

surfen

Wir haben vor Jahrzehnten zusammen das Büro geteilt, weil wir für dieselbe Redaktion Filmgeschichten realisierten. Er war damals schon ein begeisterter Fahrradfahrer. Mit seinem Rennvelo überquerte er Pässe – und zwar, wenn er mal loslegte, nicht nur einen. Dann zogen wir weiter, beide zu einer andern Sendung und sahen uns dadurch nur noch selten. Er war, was das Denken und Handeln anbelangte, immer ein Alternativer, ein Radikaler. Trotzdem schaffte er den Hierarchieschritt und blieb dennoch ein toller Kollege.

Und nun steht er, mit einem Bier in der Hand, angelehnt an einen Türpfosten und ich stolpere beinahe über seine Füsse. Eine gefühlte Ewigkeit ist’s her, seit wir uns letztmals sahen. Umso mehr freuen wir uns über das unverhoffte Zusammentreffen. Auf seine Frage «was machst du?», sage ich, was ihn wiederum nicht erstaunt: «Ich bin pensioniert.» Allerdings, ergänze ich, bin ich nicht mehr aktiv wie du. Denn er, 10 Jahre älter als ich, blieb nach seinem Abgang aktiv und realisierte noch regelmässig Filme – meist für Hilfswerke.

Das war einmal, meint er. Inzwischen habe er sogar sein Top-Rennrad seinem Sohn vermacht. Zu viele seiner inzwischen ebenfalls alten Kollegen seien mit dem Fahrrad gestürzt und mit gebrochenen Knochen im Spital gelandet. Vernünftig, denke ich und sage: «Da habe ich es mit Rudern einfach besser – aber nur solange ich es noch schaffe, ins Boot zu sitzen». Und schliesslich landen wir wieder beim Arbeiten, weil ich wissen will, womit er sich derzeit auseinandersetzt. Er mache nichts mehr, er habe aufgehört, erzählt er mir. Doch seitdem gebe es oft Tage, sagt er, wo er sich frage: «Und? Was mache ich heute?»

Um mit dieser Frage zu erwachen, erwiedere ich, muss nicht erst 74 werden, wie du. Dieses Gefühl kenne ich schon heute, mit 65. Wir lachen. Er bleibt mit dem Bier in der Hand stehen und ich surfe weiter durch meinen Tag.