Chance

Das «La Perla» ist inzwischen abgebrochen, weil es Modernem Platz machen musste. Mein Weg führte mich oft an diesem Gebäude vorbei, das während seiner Zwischennutzung ein Ort für kreatives Kulturschaffen war. Als die Bagger mit dessen Zerstörung begannen, fotografierte ich Schriftbilder. Sie sind eine Art Wink für meinen nächsten Lebensabschnitt als Pensionierte:

IMG_1582

OUT NOW = Frei-Raum

IMG_1578

intensiv

Zusammen mit meiner Schwester sass ich vor wenigen Tagen im Publikum in der Alten Fabrik in Rapperswil-Jona zum Talk Freitags in der Fabrik. Meine langjährigste Freundin, die Moderatorin, befragte einen ihrer Gäste unter anderem zu seinem Leben als Pensionierter. Das Gegenüber, 64 jährig und seit Sommer 14 im Ruhestand, nahm sich Zeit, bis er seinen Gedanken zu formulieren begann. Er sagte in etwa folgendes: Er habe genug gearbeitet, dies sei nun vorbei. Aber wenn er vorwärts schaue, dann sei er sich durchaus bewusst, dass dieser nächste Abschnitt mit Abbau und Einschränkung verbunden sein könnte.

Ähnliches sage auch ich, wenn ich fast schon suggestiv gefragt werde: «Du freust dich doch sicher auf das Leben nach dem Arbeiten!».

«Ja, ja», sage ich: «Ich freue mich».

Denn ich finde es wirklich an der Zeit, dass ich mich aus der Arbeitswelt zurückziehe und andern, jüngeren, den Platz überlasse. Schliesslich bin ich, seitdem ich 20 Jahre alt bin – abgesehen weniger Auszeiten – kontinuierlich im Arbeitsprozess gestanden.

«Nein, nein», sage ich aber auch: «Ich freue mich nicht nur, weil es da auch diese andere Seite gibt».

Es stimmt mich nachdenklich, wenn ich mir vorstelle, was mir die Zukunft alles bringen kann: Einschränkungen von Körper und Geist. Abschied von Freundinnen und Freunden. Reduktion meines Radius.

Hebe ich das Negative hervor, versuchen meine Gegenüber oft, mich vom Gegenteil zu überzeugen: «Du bist doch noch rüstig – du ruderst, du wanderst, du bist geistig aktiv, du bist an vielem interessiert, du hast deine Projekte …».

Ich frage die Fragestellenden: «Weshalb, willst du mir diese Realität ausreden? Weshalb verwedeln oder beruhigen? Warum nicht darauf eingehen?»

Gespräche, die daraus entstehen, haben eines gemeinsam: Sie sind intensiv und nah.

Diskutiert mit!

Weisses (1)

«Deine Agenda wird schneller voll sein, als dir lieb ist – aber von nun an einfach selbstbestimmt». Dies schrieb mir unlängst eine Freundin, als sie von meiner Pensionierung hörte.

Als ich einem befreundeten Paar telefonierte, weil wir uns seit langem wieder einmal sehen wollen, höre ich als erstes: «Du, das wird schwierig. Wir haben dermassen viel zu tun.» Die Agenda des einen ist voller als vor 20 Jahren, als er noch als Lehrer tätig war. Wir finden dann doch noch einen Termin. Die beiden 85jährigen Männern empfangen mich in zwei Wochen um 14 Uhr für eine Kaffeelänge!

Ich denke: Vor soviel will ich verschont bleiben. Ich brauche für mein Leben definitiv weisse Flächen in meiner Agenda – und zwar über Tage hinweg.

Aber wie? Ein Blick auf die Doppelseite dieser Woche zeigt: kein Tag ohne mindestens eine verpflichtende, selbstgewählte Abmachung. Und nächste Woche? Wenn ich ehrlich bin, schaut es da nicht viel besser aus!

dauerferien müssen geübt werden – nur schon das Weisse.

tschüss

Nach über 40 Jahren Arbeitsleben hatte ich mein definitiv letztes Mitarbeiterinnen-Gespräch, das MAG. Dies war vor genau zwei Wochen.

Ich sitze, als bald schon pensionierte SRF-Ausbildnerin, im Büro meiner Fach-Vorgesetzten. Wir schätzen einander sehr. Wir haben in den vergangenen Jahren viele Gespräche geführt – nicht nur einfache, aber immer sachbezogene.

Der ritualisierte Ablauf des MAG’s verläuft kollegial, freundschaftlich, professionell – fast so, als würde es noch viele weitere geben. Aber ich höre es zum letzten Mal, was sie an mir und meiner Arbeit besonders schätzt: Klarheit, Haltung, Engagement.

Und dann kommt, was kommen muss – auch wenn ich mir im Vorfeld immer wieder eingetrichtert habe: «Lass dich nicht gehen!».

Als ich die Zeile sehe, die sie mir vorliest «du fehlst mir schon jetzt», kommen Tränen. Ich weine. Sie auch. Uns ist egal, dass zu unserem «tschüss» die Emotionen hörbar fliessen.

Sie sucht nach ihren Papiertaschentüchern.

Eigentlich gibt es keinen besseren Abschluss: mit guten Erinnerungen in den wohlverdienten Ruhestand, beziehungsweise ab in dauerferien.

Allerdings spüre ich auch eine Wehmut. Weshalb dies so ist, erzähle ich ein anderes Mal.

eingespurt

Da war mein Unterbewusstsein offensichtlich schon weiter, als meine Seele: Unter den abgerufenen Mails eines, das mich irritierte: die Ankündigung eines Konzertes. Nicht irgend eines, sondern ein ganz spezifisches: ein Pensions-Konzert.

«Was! Gibt es so was tatsächlich?», dachte ich und wunderte mich, weshalb der Absender weiss, dass ich mich auf diese Interessierten-Kategorie hinbewege. Ich klickte vorschnell auf löschen, denn schliesslich gehöre ich ja noch nicht ganz richtig zu dieser im Mail angesprochenen Klientel.

Allerdings – da gab es im Nachhinein eine kurze Irritation und die Frage: «Habe ich wirklich richtig gelesen?»

Eben nicht. Es war die Einladung zum Passionskonzert in der Karwoche!

Was schliesse ich daraus: dass mein Unterbewusstsein bereits eingespurt ist – auf den Lebensweg, der zu Pensionierung und dauerferien führt.