zwei

Ich weiss, heute ist der 12te Tag des Monats. Doch die «2» beginnt schon früh, meinen Tag zu bestimmen.

Im Schrank, wo mangels Stauraum Staubsauger, Putzmittel, wenige Flaschen Wein und sonstiger Ramsch versorgt sind, entdecke ich beim optimierten Stapeln, dass ich auf meinem Einkaufszettel nie hätte «Putzessig» schreiben und diese Erinnerung schon gar nicht hätte umsetzen müssen. Denn da steht bereits eine Flasche – und, im Gegensatz zur neuen, erst noch die ökologischere Variante.

Die neue bringe ich zu einem andern Schaft, der zwar nur für Schuhe gedacht war, inzwischen aber auch schon Doppeltes von irgendetwas hortet.

Danach folgt eine Runde staubsaugen, bevor ich in meinem Büro verschiedenes erledigen will.

Auf dem Weg in den Keller, zu meinem Fahrrad aus dem Laden «2Rad» fällt mir ein, dass ich doch noch Käse fürs Picknick auf der städitischen Wiese, wo am Mittag gespielt, gegessen wird, mitnehmen wollte. Also: Zurück und neu starten. Doch dem Reset folgt ein zweites Umkehren. Denn ohne meine beiden Ringe, die ich über Nacht jeweils ausziehe, fühle ich mich tagsüber nackt.

Nun sitze in meinem Büro, von der Wand grüsst Maria Lassnigs alte Frau. Mahnt sie? Grüsst sie diabolisch oder gar schwesterlich im Wissen, dass je älter man wird, sich die «Zwei» immer wie mehr im Lebensalltag einnistet?

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surfen

Wir haben vor Jahrzehnten zusammen das Büro geteilt, weil wir für dieselbe Redaktion Filmgeschichten realisierten. Er war damals schon ein begeisterter Fahrradfahrer. Mit seinem Rennvelo überquerte er Pässe – und zwar, wenn er mal loslegte, nicht nur einen. Dann zogen wir weiter, beide zu einer andern Sendung und sahen uns dadurch nur noch selten. Er war, was das Denken und Handeln anbelangte, immer ein Alternativer, ein Radikaler. Trotzdem schaffte er den Hierarchieschritt und blieb dennoch ein toller Kollege.

Und nun steht er, mit einem Bier in der Hand, angelehnt an einen Türpfosten und ich stolpere beinahe über seine Füsse. Eine gefühlte Ewigkeit ist’s her, seit wir uns letztmals sahen. Umso mehr freuen wir uns über das unverhoffte Zusammentreffen. Auf seine Frage «was machst du?», sage ich, was ihn wiederum nicht erstaunt: «Ich bin pensioniert.» Allerdings, ergänze ich, bin ich nicht mehr aktiv wie du. Denn er, 10 Jahre älter als ich, blieb nach seinem Abgang aktiv und realisierte noch regelmässig Filme – meist für Hilfswerke.

Das war einmal, meint er. Inzwischen habe er sogar sein Top-Rennrad seinem Sohn vermacht. Zu viele seiner inzwischen ebenfalls alten Kollegen seien mit dem Fahrrad gestürzt und mit gebrochenen Knochen im Spital gelandet. Vernünftig, denke ich und sage: «Da habe ich es mit Rudern einfach besser – aber nur solange ich es noch schaffe, ins Boot zu sitzen». Und schliesslich landen wir wieder beim Arbeiten, weil ich wissen will, womit er sich derzeit auseinandersetzt. Er mache nichts mehr, er habe aufgehört, erzählt er mir. Doch seitdem gebe es oft Tage, sagt er, wo er sich frage: «Und? Was mache ich heute?»

Um mit dieser Frage zu erwachen, erwiedere ich, muss nicht erst 74 werden, wie du. Dieses Gefühl kenne ich schon heute, mit 65. Wir lachen. Er bleibt mit dem Bier in der Hand stehen und ich surfe weiter durch meinen Tag.

 

 

 

 

Kapitel

Wenn ich in meinem Büro sitze, das Fenster einen Spalt weit öffne und dann diese Geräusche des Quartierlebens, die ich so liebe, sogleich den Raum füllen, dann ist dies das untrügerischste Zeichen, dass es draussen schön ist und die Menschen sich im Freien aufhalten.

Heute ist genau ein solcher Tag. Und ich sitze demnach drinnen.

Nachdem ich meinen Vermieter schon lange nicht mehr gesehen habe, begrüsste ich ihn kurz davor, vorausahnend, was er mir sagen will, mit «ich weiss, es gibt noch schönere Tage, als diesen, um hier zu sein.»

Er begreift nicht wirklich, weshalb es mich ausgerechnet heute hierher zieht und nicht allein bei Regen und Nässe. Kann ich doch frei wählen; könnte er, der Werktätige, dies ebenfalls, wäre er jetzt an der Sonne. Doch zum Glück stehen bei ihm, wie er mir erzählt, schon ab nächstem Montag vier Wochen Australien in der Agenda.

Bei mir dauerferien – und das schon seit vergangenem Juli.

Ich sitze nun hier, schreibe und lese und denke.

Mir wird inmitten dieser Geräusche bewusst, wie gut es mir mit mir geht. Das war nicht immer so.

Ich weiss: Es ist ein absoluter Luxus in Stabilität(en) zu leben, was allein schon Luxus ist, und dennoch hadernd durch den Alltag zu gehen. Zulassen zu dürfen, dass sich im Kopf die immer gleiche Frage dreht, wie fülle ich dauerferien-Tage, so dass ich am Abend erfüllt bin. Und ich denke, heute nicht zum ersten Mal: Dieses Gefühl, das so nebulös besetzend (besitzend?) sein kann, bedrängt mein Innerstes sehr viel seltener.

Inzwischen lasse ich mich an so einem schönen Tag, wo Menschen, die noch im Arbeitsprozess stehen, am liebsten woanders, als in einem Büro verbringen würden, von den Geräuschen beglücken, die durchs offene Fenster dringen. Freue mich, Doris in die Augen schauen zu können, die auf dem Foto, das ich an die Wand pinte, strahlt und mich an unsere Ferien in Island erinnert. Nicht mehr mit Schaudern, sondern mit Neugier die Postkarte betrachten können, die den von Maria Lassnig so schonungslos dargestellten, alten Frauenkörper abbildet und ebenfalls an der Wand hängt, zusammen mit den Ferienfotos.

Was sagt mir dies?

Unter anderem, dass es diese Verbindung von Vergangenem zu Gegenwärtigem braucht, um (sich) zu sortieren. Dass Vergangenes wichtig ist, um beispielsweise ein weiteres Kapitel in Angriff nehmen zu können – sei es beim Schreiben oder im Leben.

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Postkarte mit Bild von Maria Lassnig

Rahmen

Doris, die arbeitsbedingt eine randvolle Agenda hat, meinte vor zwei Tagen, als sie «Bonheur» gelesen hatte, dass das Fahrrad aus dem Keller holen, danach Kaffee trinken und anschliessend im Büro rumnuschen, alles andere als ein Agendatag sei, der wie ein Bild befreiter Rahmen aussehe.

Dem muss ich einfach widersprechen. Denn ich finde schon, dass es ein Unterschied ist, ob ich beim Betrachten der Bildfläche schon das Bild erkennen und ihm allenfalls noch einige Pinselstriche Veränderbares zufallen lassen kann. Oder, ob ich während des Tages noch nicht definierte Farben und Materialien zusammenfüge und ineinander schichte, so dass sich mit einem gewissen Abstand, am Ende des Tages, die Fläche zu einem Bild entwickelt hat.

Selbstverständlich ist mir klar, dass Menschen im Arbeitsprozess wenig Spielraum haben. Dafür sind meine Erfahrungen diesbezüglich noch zu frisch. Aber sicher stehe ich seit der Pensionierung an dem Punkt, wo es für mich keine Alternative gibt, als den Bild befreiten Rahmen neu zu bespielen. Auch wenn sich Farben und Materialen in vielem ähnlich bleiben.

Bonheur

Ich steige mit dem Vorhaben in den Keller, die Räder meines Velos aufzupumpen und mich danach auf den Weg ins Büro / Atelier zu begeben. Doch soweit kommt es vorerst gar nicht. Denn eine meiner Nachbarinnen tauscht Sommerkleider gegen Winterklamotten und da wir uns schon lange nicht mehr gesehen haben, erkundige ich mich nach ihrem Befinden. Seit Wochen, erklärt sie, wanke sie mit permanentem Schwindel, der sie selbst im Schlaf spüre, durch die Welt.

Grausam.

Wir reden, sie erzählt, bis ich frage, ob wir unser Begegnen nicht bei einem Kaffee fortsetzen wollen.

Ja, schon.

Ich denke, das Büro kann warten und schlage deshalb das «Café du Bonheur» vor, da wo ich schon so viele gute Momente verbrachte.

Aber …

Ich versichere, dass ich einen frei gestaltbaren Tag vor mir hätte. Und erwähne noch, ich sei stolz, dass mir dies auch sonst über weite Strecken gelinge.

Beim Kaffeetrinken definieren wir «Sinnstiftendes» als etwas, das nur den eigenen Ansprüchen genügen sollte. Und kommen, als wir mein Einfinden in ein Leben ohne den von aussen vorgegebenen Strukturen thematisieren, zum Schluss, dass ein weitgehend struktur-reduziertes Leben nicht heisst, sich mit Aktivismus zuzudecken.

Wir sind uns einig, dass es bei all den schwindelerregenden Möglichkeiten – um im Jargon zu bleiben – schwierig ist, selektiv zu bleiben, da es bestimmt um einges einfacher wäre, weisse Seiten einzuschwärzen. Aus dem Nichts entwickeln wir die Idee einer Agenda bestehend aus Terminblättern, die bloss umrandet sind – also mit herausgeschnittenen Flächen.

An diesem Gedanke gefällt uns die Vorstellung, dass der Rahmen um Leere, Räume schafft für eine eigene, sinnige (eigensinnige) Farbigkeit.

Wochenende (2)

Erschrocken sind wir beide – er und auch ich.

Noch sitze ich in meinem Büro, das ich im Hinblick auf meine bevorstehende Pensionierung schon ein Jahr vor dem eigentlichen «Ereignis» mietete. Hier schreibe ich nun, überlege. Ich ordne und entleere den Computer-Papierkorb «sicher», weil das Foto-Programm das Öffnen verweigerte. 22’365 Objekte sind zu löschen. Es dauert. Das Warten hat sich gelohnt.

Nach Erfolg und anschliessendem Abrunden meiner Aktivitäten, verabschiede ich mich beim Verlassen der Räumlichkeiten von meinem Vermieter, der am Computer arbeitet. Vor ihm liegt Erledigtes auf dem Boden – Couverts die zur Post gebracht werden sollten.

Und dann geschieht das Überraschende, das uns beide kurz so etwas wie erschreckt und ins Stocken bringt: «Tschau», sage ich und wünsche: «Ein schönes Wochenende.» JETZT – im Moment, als ihn am Gesagten etwas irritiert -, realisiere ich: Es ist nicht Freitagabend, sondern Mittwoch, kurz nach 13 Uhr. Für die meisten ist es Halbzeit einer normierten Arbeitswoche und für mich, die am Büroausgang steht, gefühlsmässig bereits Wochenende.

Blüten

Ideales Fahrrad-Wetter ist es noch immer – bei dieser frühlingshaften Temperatur erst recht. Auf relativ direktem Weg fahre ich an diesem Morgen in den Kreis 5, um in meinem Büro eine begonnene Arbeit abzuschliessen.

Doch dazwischen gibt’s immer auch ein Unterwegs.

Das herbstliche Sonnenlicht beleuchtet heute Ecken und Wände besonders zauberhaft, so dass ich gar nicht anders kann, als Vergängliches festhalten. Es wäre ein Jammer, an solch wunderbaren (Kunst)-Blüten unachtsam vorbeizufahren. Ich steige vom Rad.

Betrachte.

Ich veräume vor den gesprayten Botschaften und bin fasziniert – auch weil meine Botschaft an mich, sich langsam am Verankern ist (siehe «Kunst»). Währenddem ich fototgrafiere, «erwischt» mich meine Schwester. Sie will wissen, was ich auf meinem Weg «Richtung sehr gut» entdeckt hätte. «Du wirst sehen», gebe ich zur Antwort.

Hier nun, liebe Schwester, ist die Auswahl an Stadtblüten, für die ich an der Brauerstrasse 126 ein erstes Mal inne hielt.

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