Spirale

IMG_2947Das Badetuch direkt am Ufer des Bodensees, im Rücken der Baumstamm zum Anlehnen, am frühen Morgen noch die leichte Brise – meinen Körper kühlend -, das lädierte Bein gestreckt und leicht erhöht nach dem therapierenden Schwimmen im noch immer erfrischenden Wasser. Alles perfekt getuned für eine in sich ruhende Zeit, die mir, der leicht Handicapierten und sonst doch eher Rastlosen, viel Ruhe schenkt.

Ich lese und beobachte.

Zwei Frauen in meinem Alter, also auch pensioniert und mit ähnlich viel freier Zeit, wie es scheint, geniessen den Morgen ebenfalls. Sie schnadern – sich viel erzählend schwadern sie durchs Wasser, ihr Gerede wird leiser, ihre Köpfe werden kleiner, bis dass sie in der Ferne verschwinden und von ihnen nichts mehr zu hören und zu sehen ist.

Ich lese – noch immer im Buch «Mein weisser Frieden» von Marica Bodrožić. Sie seziert die Kriege auf dem Balkan und ich denke dabei an die Türkei, an das Machtgebahren Erdogan’s nach dem gescheiterten Putsch, wenn die Autorin schreibt: «Menschen, die nie gelernt haben, sich einer Autorität bis in die innersten Regungen zu verweigern, sind nicht in der Lage, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Das können nur Menschen, die sich selbst kennen und die erfahren haben, dass Wachsein Begegnung und Gespräch ist. Wo soll auch die Empfindung ihren Anfang nehmen, wenn nicht im eigenen Innern? Es gibt keinen andern Ort. Wer gehorcht, folgt der Sprache eines andern; wer folgsam ist, hat nicht gelernt zu denken.»

Ich lese. Schnadernd kündigen die beiden Frauen ihre Rückkehr an. Was für ein schönes Geschenk dieser Start in den Tag. Unbeschwertes hier.

Grauen dort – wann endet diese Spirale?!

 

 

 

Oski

Dieses Mal treibt mich der Hunger in die Quartierbäckerei und nicht der «Gluscht» (siehe meine Bloggeschichte «Schnecke»). Denn als ich zu Beginn des Morgens in meinem Atelier begann, Gedanken und Bilder zu sortieren, vergass ich, dass es Mittag ist und um vier Uhr nachmittags macht es keinen Sinnm mehr, das Verpasste nachzuholen, da mir abgesehen davon nun auch die Zeit fürs Hinsetzen fehlt.

Also nehme ich mit der Dynamik der vom Hunger Getriebenen die drei Stufen.

Drinnen begrüsst mich «Oski» mit seinem für ihn typischen «sali, wie häsch es». Zum Reden bleibt keine Zeit. Denn als es nur schon den Anschein macht, dass er, der pensionierte Bäcker und aushelfende «Ladenhüter», zu dem ansetzen könnte, was er so gerne macht, nämlich plaudern, atmet die Frau, die nach mir eingetreten ist tief und sagt: «Draussen liegt mein Kind im Wagen». Wir wissen, was sie damit meint.

Eine Stunde später stehe ich nochmals vor Oski, weil mein Hunger noch immer nicht gestillt ist.

«Sag mal, wie geht es auch deiner Partnerin?», fragt er aus dem Nichts und meint, er habe sie schon lange nicht mehr gesehen.

Wenn er das frische Brot von der Backstube im Keller in den Verkaufsladen hoch trug sah er jeweils kurz nach fünf Uhr Doris an der gegenüberliegenden Station aufs Tram warten, um zurück an den Bodensee zur Arbeit zu fahren. Dann winkten jeweils beide und lächelten.

Er fragt: «Habt ihr es nicht mehr gut?», schaut mir prüfend in Augen und Seele und bewegt dabei wiederholt die beiden ausgestreckten Zeigefinger aufeinander zu und wieder von einander weg.

Ich erkläre ihm, dass ihr dieses frühe Aufstehen mehr Energie fresse als früher und sie deshalb lieber am Abend noch zurück reise, als am eigentlichen Arbeitstag. Der Stress sei ihr mit zunehmendem Alter zu gross geworden. Nun würde ich, die Pensionierte, regelmässig und häufiger zu ihr reisen, als sie zu mir.

Er versteht, will wissen, was sie arbeitet, ist mit meiner Antwort zufrieden und sichtlich erleichtert. Zur Verabschiedung sagt er noch: «Lass sie von mir grüssen.»

Es ist nicht die gekaufte Süssigkeit die mein Herz erwärmt. Es ist diese Aufmerksamkeit, dieses Anteil nehmen, das mich berührt und begleitet, als ich ins Wochenende von dort nach dort zu Doris reise.

 

 

 

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Und dann erwartete mich Ende letzter Woche schon wieder so ein Tag – aufstehen und nicht mehr wissen, als dass ich mit Rudern in den Tag starten werde. Was sich sonst noch ergeben wird, ist mir zur Zeit, als ich mich im Bett mental auf die Fahrt im Skiff über den Bodensee einstelle, weil rudern, auch wenn es grau und trüb ist, noch nicht klar. Ich gehe aber davon aus, dass ich anschliessend erneut auf den Surfmodus schalten und «das Leben auf mich regnen lassen» werde. (Danke Silke für dein Foto.)

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Der See ist so hoch, wie ich ihn noch nie gesehen habe.

Als ich nach meiner Ruderfahrt am Steg anlege, steht auf der Wiese des Ruderclubs mein Arboner Freund, mit dessen Hilfe ich im April das Insektenhotel realisierte. Er schaut besorgt auf die Wassermasse des Bodensees, die sich bedrohlich dem Land fressenden Pegel nähert. «Seit heute Morgen gilt Warnstufe 4», sagt er. Das zuständige Amt habe zudem die Vorhersage nach oben korrigieren müssen. Die Wasserfläche werde in den nächsten zwei Tagen nicht um 2o Zentimeter, sondern um das Doppelte ansteigen.

Er, der das Hochwasser von 1999 schon erlebte, hat bereits das Notwendige organisiert, um die Barrikade gegen das vordringende Wasser zu bauen. Vor dem Klubhaus liegen Bretter, Plastik, Pfähle, Hammer. Auch Sandsäcke sind geordert. Er alleine, ohne Unterstützung.

Ich packe mit an, helfe und am Abend haben wir – er und ich – das Ziel erreicht. Nicht ohne Stolz schauen wir auf das Erarbeitete, das entstehen konnte, weil mir am Morgen noch nicht klar war, wie ich mein Tagesgefäss füllen werde.

Surf-sei-dank.

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steigender Pegel – Samstag / Sonntag:

reflektieren

Offensichtlich waren mein Arboner Freund und ich nicht die einzigen, die am vergangenen Mittwoch am Ufer des Bodensees standen, staunten und das grosse Wettertheater einfach nur noch grandios fanden. Zur Erinnerung noch einmal das Bild zu «grandios».

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Denn heute lese ich im Regionalblatt, dass es sich bei diesem Schauspiel um ein seltenes Phänomen handelte, das letztmals 2013 zu sehen war.

Solch eine spektakuläre Wolkenformation bilde sich, so in der Thurgauer Zeitung nachzulesen, wenn sich auf der Seeoberfläche die Kaltluft ausbreitet und das steil einfallende Sonnenlicht von den Eiskristallen in alle Richtungen reflektiert wird.

Beim Betrachten des Bildes und Lesen des Textes spinne ich den Faden weiter. Ich denke, wie wäre eine Gesellschaft, die Meinungen in alle Richtungen reflektiert, anstatt festgefahrenes, einziges in Stein zu meisseln? Vielleicht wäre dies das Rezept für Gemeinschaften, die allzu häufig mit viel Kaltluft auf all das reagieren, was sich ausserhalb ihrer Vorstellung und ihrer vorgegebenen Norm bewegt.

Wie die Natur zeigt, braucht es für einmalig Spektakuläres das Reflektieren.

 

 

grandios

Zwar ist diese April-Wetter-Angelegenheit unwirtlich wie selten. Doch wem erzähl ich dies überhaupt. Die meisten sind davon betroffen.

Doch am Ende von Projekttag Nummer 3 ist es einfach anders, nicht was die Kälte und die zwischenzeitlichen Schauer anbelangt. Mein Arboner Freund, der mich heftigst im Voranschreiten meiner Werkarbeit unterstützt (darüber morgen mehr) und ich stehen am Ufer des Bodensees – und wir staunen! Nur gerade einmal EINE Minute liegt zwischen den drei Bildern: Die Natur – einfach nur grandios!

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Schwalben

Ich sitze in Doris‘ Auto, blicke über die Weite des Bodensees, die Sonne, eine rote Kugel, ist eben erst aufgegangen. Ich wähle den Rückwärtsgang und fahre dahin, woher ich eben erst gekommen bin. Denn mit Rudern ist um diese Zeit noch nichts, das Wasser zu bewegt.

Etwas später stehe ich am Bahnhof in Romanshorn, weil ich nun von dort nach dort will. Der Zug ist bereits seit fünf Minuten ohne mich unterwegs und der nächste fährt wegen Bauarbeiten erst in 55 Minuten und ich denke, einmal mehr: Was will ich eigentlich dort?

Dies fragte ich schon am frühen Morgen Doris. Weshalb fahre ich jetzt schon nach Zürich? Turnen ist ja erst abends!

Sie sagte zu recht, sie wisse es auch nicht!

Ich nickte.

Wenig später fahre ich dennoch los.

Allerdings stehe ich dann am Hauptbahnhof Zürich ähnlich «lost» und trotzdem heiter wie das Plüschli, dem ich vor zwei Tagen im Untergrund des Bahnhofs begegnet bin und telefoniere meiner langjährigsten Freundin. Mein Anruf holt sie unter der Dusche hervor, meine spontane Fahrt in ihre Stadt bringt ihr Programm durcheinander und drei Stunden später, auf der Rückfahrt, freue ich mich über ihre Kurzmitteilung «Danke fürs Rausholen aus eingeübtem Trott».

Nun sitze ich in meinem Büro, wo ich seit Island erstmals wieder die Rollläden hochgekurbelt habe, am offenen Fenster. Das Quartier wohltuend in meinen Ohren, blättere ich Seite um Seite im Buch, das mir meine Freundin empfahl, als wir noch vor kurzem an der wärmenden Sonne sassen, und zu dem die Buchhändlerin meinte, sie würde mich um den Nachmittag beneiden, an dem ich darin lesen könne.

«Und was hat das mit mir zu tun?»

Diese Frage, die zugleich auch Buchtitel ist, bewegte Sacha Batthyany, seiner Familiengeschichte während des zweiten Weltkrieges nachzuspüren. «Es war das Massaker an 180 Juden», schreibt der Journalist am Ende des ersten Kapitels, «das mich meiner Familie näherbrachte».

Ich lese und lese und schliesse die Rollläden erst wieder, als ich fürs Turnen weiter muss.

Liebes «Kollektiv Warum» – so habe ich heute meine Zeit verbracht (siehe gestern «warum 3»). Ziehe ich Fazit, kann ich sagen: Auf meinem Weg durch den Tag entdeckte ich zu meiner Freude bereits die dersten Schwalben und dazu noch anderes Bereicherndes, obwohl ich im Moment jeweils meist nicht wusste, weshalb ich es so und nicht anders mache.

kristallisieren

Auf dem Weg von dort (Zürich) nach dort (Bodensee und Doris) mache ich einen Umweg «via», um, nach dem Wiedersehen mit meiner Schwester, nun auch noch meine langjährigste Freundin zu sehen, wenigstens für knappe zwei Stunden.

Wir treffen uns am Ort, wo wir meist hingehen, ins Kaffee in der Altstadt mit den verführerisch feinen, hausgemachten Fruchttörtchen, deren Konsum ich mir heute allerdings verbiete. Denn mit Schrecken habe ich im öffentlichen Bad in Reykjavík, als ich auf die Waage stand, realisiert, dass ich in den vergangenen Jahren an Kilos zugelegte – allzu viele finde ich und deshalb versuche ich nun, diesem «Gluscht» nicht nachzugeben.

Wir reden über vieles – auch über die Wahlen in Deutschland, die von der Flüchtlingspolitik geprägt waren. Sie erzählt vom Gespräch mit Angela Merkel in der Sendung von Anne Will. Meine Freundin ist beeindruckt von Merkels Haltung und ärgert sich über die Merkel feindlichen Kommentare am Nachfolgetag in der Schweizer Presse.

Dann ist Zeit, aufzubrechen.

Beim Verabschieden am Bahnhof meint sie, im Tonfall etwas zwischen irritiert und erschreckt: «Jetzt habe ich ganz vergessen, dich über Island zu befragen. Doch beim Lesen deines Blogs hatte ich immer das Gefühl, ich sei auch mit dabei auf deiner Reise.»

Das ist das Risiko einer Blogschreiberin.

Ihr Kompliment begleitet mich auf meiner Fahrt nach dort und ich weiss, in irgend einem andern Zusammenhang wird sich sicher die Gelegenheit ergeben, von damals zu erzählen – weniger im Sinn von Erlebnisbericht, sondern eher als Gedanken, die sich in Weite, Wind und allein sein kristallisiert haben.

minus

Ich werde immer wieder bemittleidet – zu kalt! Zu dunkel! Du arme! Wie hältst du Island in dieser Jahreszeit bloss aus?

Gut, ich gestehe: Ich variere mit Schichten. Manchmal eine mehr, manchmal eine weniger. Oft trage ich unter der Hose eine etwas leichtere Unterziehose, auch mal die dickere oder die noch etwas dickere. Selten ist es eine Mehrfach-Kombination. Doch diese Woche war ich tatsächlich schon  z w e i  Mal nur in der grauen Cordhose unterwegs.

Wirklich – alles in allem ist es nicht einmal halb so schlimm, wie viele meinen. Denn schliesslich lebe ich vorübergehend an der Quelle des isländischen Wetters. Was wiederum heisst, dass es jederzeit überraschend sein kann.

So schrieb ich Doris letzte Woche einmal, um genau zu sein am 26. Februar: «Stell dir vor, ich sitze ohne Mütze mit offenem Mantel auf einer Bank vor der Kirche an der wärmdenden Sonne und es ist schon 17 Uhr.» Die Schadenfreude, dass es am Bodensee schneite, konnte ich mir nicht ganz verkneifen.

A-propos Helligkeit: Stockdunkel wird es hier gegen 19 Uhr 30. Die Morgendämmerung lässt schon eher auf sich warten. Schaue ich vor 8 Uhr aus dem Fenster, sehe ich, dass auch der Tag erst am Erwachen ist.

Eben. Zu dunkel, zu kalt ist ein Vorurteil von südwärts Reisenden oder zu Hause Gebliebenen.

Heute, also gestern Samstag, werde selbst ich überrascht. Mein Lieblingskaffee «C like Cookies», wo ich inzwischen fast täglich einen Boxenstopp mache, hat sich, obwohl es am Morgen noch in feinsten Flocken schneite, bereits für den Frühling gerüstet. Als ich ums Eck komme, stehen da, wo gestern die jungen Mütter noch ihre Kinderwagen deponierten, zwei Tische mit Stühlen. Auch wenn noch niemand Platz genommen hat, bin ich mir sicher, dass sich im Laufe des Tages noch Menschen in kurzärmligen Leibchen dort hinsetzen und es, typisch «icelandic», geniessen werden, nicht nur das Rauchen.thumb_IMG_1568_1024

Der wirkliche Kältetest steht mir allerdings noch bevor. Am Montag, dann wenn ich im Norden der Insel, mit den Schneeschuhen unterwegs sein werde. Die Prognosen zeigen Temperaturen, die ins Minus tauchen.

verstauen

Während Doris und ich zum Bahnhof fahren, damit ich von dort nach dort gelange, sage ich – im Gemüt etwas zwischen freudig und wehmütig: «Beinahe hätte ich bei den Vorbereitungen vergessen, den Reiseführer bereit zu legen, weil sich die Vorstellung nach Island zu reisen, fast schon so anfühlt, als ob ich heimkommen würde.»

Daraufhin meint Doris, bevor sie mich noch einmal fest hält, dass es für sie erträglicher sei, zu wissen, was mich erwarte. Die gemütlichen Kaffees, das Kino, auch die Strassen von Reykjavik, die ich ihr im vergangenen Juni zeigte, als sie fünf Wochen später als ich für gemeinsame Ferien ebenfalls nach Island kam.

Aber noch bin ich nicht weg. Noch bin ich nicht auf dem Weg in den Norden, aber schon sehr bald.

Vorest aber führt mich meine Reise von dort nach dort. Als ich nach Zug- und Tramfahrt die Tür zu meiner Zürcher Wohnung öffne, erwartet mich auf dem Esstisch all das, was ich vor Tagen zusammenstellte und nun nur noch darauf wartet, im Koffer verpackt zu werden. Es sind vor allem warme Wollleibchen fürs Zwiebelsytem, die auf der Tischfläche liegen, aber auch Wasser- und Windresistentes und eben, oben auf der Beige gut sichtbar, der Reiseführer.

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Ein Graus, all dieses Bagage.

Ich denke an meine Schwester, die im Packen schon beinahe ein Hindernis fürs Reisen sieht.

Bin ich nun schon wie sie, die um fünf Jahre ältere?

Nein.

Diesen Gedanken weise ich, bevor er sich festsetzt, energisch von mir – in etwa so vehement, wie wenn eine Hündin nach dem Bad im Wasser das Nass aus ihrem Pelz schüttelt.

Jedenfalls packe ich das Packen. Und schon kurz danach telefoniere ich Doris, glücklich, dass ich im Koffer mehr Platz hatte, als ich mir vorstellen konnte. Schwester sei dank, die mich oft fürs organisierte Verstauen angeheuert hat, letztmals in Berlin.

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Übrigens: Dienstag, also morgen, ist Reisetag!