Und dann endet das Buch, das ich, wenn ich mich heute für ein einziges Inselbuch entscheiden müsste, wählen würde. Ich sage am Mittagstisch zu Doris, dieser analysierende, Zusammenhänge erklärende und mit der eigenen Geschichte verwobene Roman hat mich vollends begeistert.
Dieses Mal hat sich Lebenszeit, die mit dem Lesen von «Mein weisser Frieden» verbunden war, mehr als gelohnt. Ich habe viel erfahren über Sozialisation, Manipulation durchs Wort, Rattenfängerei, Macht, Widerstehen, Würde, Menschlichkeit … Zudem ist es poetisch und wortstark geschrieben.
Und deshalb möchte ich als Abschluss nochmals die Autorin, Marica Bodrožić, zitieren: «Wir können die Toten nicht mehr mit unseren Fingerkuppen berühren, aber die Lebenden zeigen uns, wozu der Mensch fähig ist, wenn ihm andere Wesen ausgeliefert sind und er selbst über die Toten die Deutungshoheit hat. Was vollbringt der Mensch mit seiner Macht? Wohin führt sie ihn? Nur in der Güte ist Erdung und Rettung. Sie ist die leise innere Stimme, die uns dazu drängt, unsere Redlichkeit an uns selbst zu schulen. Wer gütig ist, weiss um sich selbst und schlägt nicht zurück. Er fühlt die tätige Gnade und ist fähig geworden, seine Macht auszuhalten er muss sie nicht in Gewalt entladen, sondern hat die Wahl, bewusst zu bleiben – ein mündiger Mensch.»
Marica Bodrožić, «Mein weisser Frieden», © 2014 Luchterhand Literaturverlag, München