Wieder dieses simple Bühnenbild. Dieses Mal ist es nicht eine Wohnstube, wie wir sie alle kennen, sondern eine Küche, so wie sie uns, den Zuschauenden, ebenfalls bestens bekannt ist, weil in ihr ähnliche Elemente stehen wie in deiner und meiner.
Bewohnt wird sie während zweier Vorstellungstunden von vier Menschen. Sie erzählen in «Empire», im letzten Teil von Milo Raus Trilogie, ihre persönliche Geschichte. Das ineinander Geflochtene filmt abwechslungsweise der eine, oder die andere. Das Gesicht, der «close up» derjenigen Person, die am Erzählen ist, wird schwarz/weiss auf die Dekorwand projiziert, zusammen mit den Untertiteln der deutschen Übersetzung des Gesprochenen.
Close up: Das Gesicht der Rumänin, des Griechen, des Kurden (aus dem Irak) und des Syrers. Ihre Geschichten erleb(t)en sie in Europa und im Nahen Osten. Ihr Leben handelt von Krieg, von Vertreibung, von verlassen müssen und verlassen werden, von Macht und Ohnmacht.
Nach zwei Stunden klatscht das Theaterpublikum. – Wofür?
Fürs Dargestellte? Zum Dank, dass wir an all den persönlichen Geschichten teilhaben durften? Als Wertschätzung, dass sie, die meine oder deine Nachbarn sein könnten, uns in ihr Leben blicken liessen?
Zum Beispiel, dass der Syrer auf der Suche nach seinem verschwunden Bruder während Monaten Fotos von Folteropfern sichtete und wir, so wie er, ebenfalls in eine Serie misshandelter Gesichter schauen. Oder, dass der kurdische Schauspieler Monate inhaftiert wurde, weil er in seiner Heimatstadt in einem Stück mitspielte, das in der verbotenen kurdischen Sprache aufgeführt worden war und er nun, in «Empire», erst zum zweiten Mal in seiner Muttersprache auftritt (erstmals erwünscht).
Applaudieren wir aus Erschütterung? Oder weil wir die Versehrtheit nicht aushalten und uns die Ohnmacht aus der Seele klatschen?
Als wir die Schiffswerft, die während des Zürcher Theaterspektakels Spielstätte ist, verlassen, regnet es. Selbst der Sommer ist abhanden gekommen.
Wenig später stehen Doris und ich unter dem schützenden Dach des Vorstadtbahnhofs und warten auf den Zug. Wir sind auf dem Weg nach dem von uns gewählten nach Hause, aus dem wir nie vertrieben wurden. In der Menge steht (mit Mann und ohne Bodygard) «unsere» Justizministerin, deren Alltag von der Flüchtlingsfrage geprägt ist. Sie war ebenfalls dort, wo wir waren – am Ort der erzählten Tragödie, der erlebten Geschichten.
Sich die Ohnmacht von der Seele klatschen – das kann wohl sein. Aber wird nicht der Ohnmacht ein Stückchen abgetrotzt, wenn – und seien es nur einige wenige – Stimmen aus dem Off (eigentlich Out) auf die Bühne geholt werden. Mögen sie gehört werden.
Liebe Grüße
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gehört und beim handeln erinnert. das wünsche ich mir auch. lieber gruss.
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Ich glaube, dieses Beifall klatschen kann auch Respekt bedeuten. Das der,der davor steht trotz allein leides was er erlebte, die Kraft hat, weiter zu erzählen damit es nicht im Dunkeln bleibt. Danke für diese Geschichte.
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auch ein danke
ja, du hast recht – es ging auch um respekt, respekt davor, dass sie uns ihr erleben mitteilten und dafür ein weiteres mal durch die tiefen der gefühle gingen.
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Dem möchte ich mich anschließen, Respekt und auch Bewunderung für den Mut jeden Abend wieder durch das Erlebte durchzugehen.
Eine Justizministerin mit kulturellen Interessen ist auch ein Gewinn für ein Land ….
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das dachte ich mir ebenfalls – da steht die sp-politikerin konstant in der kritik der rechten, kommt daher wie alle andern und lässt sich ein – in anderer form -, was ihre politische agenda dominiert. jedenfalls, darüber habe ich nicht geschrieben, ging ich auf sie zu und bedankte mich, als bürgerin, für ihre verbindliche haltung.
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Ein erfreuliches Erlebnis. Es ist sicher auch für PolitikerInnen motivierend ausnahmsweise von BürgerInnen gelobt zu werden ..
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Ich denke, wir „Normalos“, die nie Hunger, Folter, Krieg, Vertreibung oder anderes miterleben mussten, vielleicht ein wenig Armut und Schmerzen bei irgendwelchen Krankheiten – aber nie Schmerzen, die durch Folter hervorgerufen werden, wir stehen solchen Schicksalen fassungslos gegenüber. So etwas kann man nicht mitempfinden, dazu reicht unsere Vorstellungskraft gar nicht aus.
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