Die Latte Macchiato, die vor ihr steht, schmeckt ihr nicht. Die Milch ist eine Mandelmilch – die wollte sie einfach mal probieren. Sie löffelt Schaum mit Flüssigkeit, rümpft beim Runterschlucken die Nase. Sie kostet nochmals. Worauf sie sich aus reiner Neugier einliess, schiebt sie nun zur Seite und sagt zur Servierfrau, was sie sonst selten macht, dieses Gemisch liebe sie nicht, verbunden mit der Hoffnung, dass diese – ganz Gastgeberin – versteht. Denn letztlich ist ihr bewusst, dass es im veganen Restaurant keine Kuhmilch gibt. Und tatsächlich, die Servierfrau hat verstanden.
Nun löffelt sie erneut, doch dieses Mal im frischen, Soyamilchkaffee. Doch er schmeckt ihr noch immer nicht. Das war letztmals anders, hier am selben Ort. Aber da ging es ihr auch psychisch besser.
Was ist es, frage ich.
Alles ist am Entschwinden, meint sie. Ein Abschiednehmen von allem.
Könnte es nicht ebenso gut ein Loslassen sein?, frage ich in die Schwere.
Doch ihr Empfinden entsprich heute, beim Zusammensein, nicht diesem Gefühl von aktiv etwas loslassen. Vielleicht, versucht sie zu erklären, liegt es auch am bevorstehenden, runden Geburtstag. Es wird einfach alles enger. Vor zehn Jahren hätte ich möglicherweise versucht, dieses zum Verkauf stehende Traumhaus auf der Insel mit andern zusammen zu erwerben. Aber heute nicht mehr.
Ja? Ich nicht. Es würde nicht meiner Lebenssituation entsprechen, erkläre ich. Viel mehr fällt mir im Moment auch nicht ein.
Nach dem Verabschieden warten wir beide auf das öffentliche Verkehrsmittel, das uns in entgegengesetzte Richtungen bringen wird. Ich schaue zu ihr herüber. Der gegenseitige Augenkontakt bleibt diesmal aus, sie ist versunken in ihren Gedanken; ihre Körperhaltung zeigt, welcher Art sie sind.
Wir telefonieren kurz darauf. Die Schwere liegt noch immer über fast allem, was sie sagt. Eine Woche später hören wir einander wieder. Diese Energie und Leichtigkeit in ihrer Stimme mit der sie von der Geburt der Enkelin erzählt. Alles ist gut gegangen, ein Glück. Und dann sagt sie noch: «Dass mich dieses Warten auf das Kindlein so mitnimmt, hätte ich selbst nicht für möglich gehalten.»
Das muss es gewesen sein, denn ich erkenne in ihr wieder diejenige, die ich bis dahin kannte – zum Glück.
Das habe ich auch mit einer Freundin erlebt. Allerdings keine Geburt, sondern der Tod meines Mannes brachte uns auseinander. Meine Freundin wollte Leben haben – um sich – ich wollte einfach nur leben im Leben. Ob wir uns wieder annähern, weiß ich nicht, hoffe es aber!
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ja, annäherung/ nähe bedeuten ebenfalls leben im leben, deshalb wäre dies für eine freundschaft bereichernd / vertiefend. ich wünsche dir, dass es euch gelingt. unsere freunschaft hat zum glück darunter nicht gelitten. lieber gruss barbara
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Ich hab schon wieder ne Gänsehaut gekriegt beim Lesen. Du schaffst es, Stimmungen wider zu geben. Ich hätte „sie“ am liebsten in den Arm genommen. ☺ Kat
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danke und ich werde ihr deine umarmung heute, wenn ich sie wieder sehe, überbringen. lieber gruss. barbara
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Was für eine wunderschöne Geschichte, berührend erzählt. 🙂
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danke.
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Allein dieses Wort „Kindlein“ …! —
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rührt mich jeweils, wenn ich es von ihr höre – und sie benutzt es oft. ’s’chindli‘ – sagt sie (auf schweizer deutsch).
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Soviel Sorge hatte sie um das Ungeborene, dass sie an nichts mehr Freude hatte.
Berührend.
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