wünschen

Im Anschluss an dem vor Wochen abgemachten Termin zum Mittagessen bei Mutter mit krabbelndem Kleinkind sitzen die mich begleitende Bekannten und ich noch auf dem Platz, wo wenige Tage zuvor das Ritual gefeiert wurde, an dem Frauen bloss als Zuschauerinnen geduldet werden. Dieses ein Mal jährlich stattfindende Fest nennt sich Sechseläuten. Hier thront jeweils zu Beginn des Frühlings ein Schneemann, der nur so ausschaut, als sei er aus Schnee, auf einer Scheiterbeige, die Punkt 18 Uhr in Brand gesteckt wird. Dann kreisen Männer, sogenannte Zünfter, wie alte Krieger auf Pferden rund um den lodernden Berg gestapeltem Holz und der Schneemann versucht so lange seinen Kopf zu retten, wie er kann. Je schneller dieser weg fliegt, desto näher, so der damit verbundene Glaube, bzw. Aberglaube, liegt ein schöner Sommer.

Auf dem mit Marmor ausgelegten Sechseläutenplatz, der vor wenigen Tagen im Zentrum der Prophezeihung stand, sitzen wir zwei pensionierten Frauen nun, im Wissen, dass der Sommer kühl und nass ausfallen wird. Wir diskutieren über kriegführende Länder, die Flüchtlinge produzieren. Über die Schweiz, die ein Waffenausfuhrverbot kennt, dennoch Kriegsmaterial exportiert und doppelbödig argumentiert. Über Satire und die Konsquenz, dass nicht der Despot, der Präsident der türkischen Republik, der kurdische Dörfer zerstören lässt, im Zentrum der Kritik steht, sondern der Satyriker, der mit seiner verbalen Rundum-Schleuder aufzeigt, wie verletzlich in Deutschland Pressefreiheit ist.

Die Negativspirale zieht nach unten, uns beinahe auch, bis dass mein Gegenüber zu lachen beginnt, weil ihr in diesem Moment das Rezept der Lösung vorgeführt wird. Sie liest laut die Werbebotschaft, die mit dem Tram an ihr vorbeischwebt: «Sympany, ihre Krankenversicherung, macht das Leben einfach»!

Wir finden: Es gibt keinen bessereren Schlusspunkt, um unsere Begegnung aufzulösen. Wir verabschieden uns in der Hoffnung auf ein Wiedersehen – egal, ob bald oder in Wochen – und wünschen uns bis dahin einfach(es) Leben.

8 Gedanken zu “wünschen

  1. Silke G. schreibt:

    Ja, da kann einem schon das Lachen im Halse stecken bleiben! Aber dann komme ich an meinem Kühlschrank vorbei und lese auf einem der (mehr oder minder lustigen) „Kühlschrankmagneten“ : „Wer lacht hat noch Reserven“ und denke: Jetzt erst recht!
    In diesem Sinne wünsche ich einen schönen, aktiven, rebellischen Tag.

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  2. “ … im Wissen, dass der Sommer kühl und nass ausfallen wird.“ Sogar auf die Klimaerwärmung kann man sich nicht immer verlassen 🙂
    Ich versuche auch, das Leben vorbehaltlos zu leben und zu genießen, weil es ja in der Zukunft Dinge geben kann, die mir partout nicht gefallen.
    Mit Berliner Grüßen von mir

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    1. … liebe clara, das freut mich, dass es bei dir erst in «zukunft dinge geben kann», die dir partout nicht gefallen. das gefällt mir! und wünsche dir ein entsprechend einfaches leben.

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      1. Obdachlos werde ich kaum werden, total unter die Armutsgrenze werde ich hoffentlich auch nicht fallen – nicht mehr laufen können, in einen Rollstuhl zu müssen oder diese CA-Krankheit – das kann das Leben grundsätzlich umkrempeln. – Im Moment ist es im grünen Bereich.

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