nachdenken

Wir sitzen gemütlich bei einem Glas Wein zusammen, nachdem wir einen Nachmittag lang von einer Ruderkollegin, Notfallärztin und Anästhesistin im Berufsalltag, über Erstehilfe Massnahmen unterrichtet worden sind.

Von vielem haben wir nun eine annähernde Ahnung und wünschen uns, dass wir diesbezüglich nie unser soeben erweitertes Wissen praktisch umsetzen müssen. Herzmuskel in Bewegung bringen, Sauerstoff zuführen bis dass Ärztin und Sanität eintreffen – niemals, denken wir alle, weil wir befürchten, dass allfällige Schädigungen, die Folge unseres Unvermögen im Reanimieren wären. Unsere Fachfrau erwähnt wenig später denn auch noch, dass die Wahrscheinlichkeit der Folgelosigkeit minimal ist.

Nicht gerade motivierend, aber sehr realistisch.

Ich provoziere, wie so häufig und formuliere meine Frage mit einer Anmerkung, die Doris mir gegenüber kurz davor erwähnte. «NoCPR» – sollte dieses Kürzel, das übersetzt «keine Reanimation» bedeutet, in der Gegend des Herzens auf der Haut stehen, ob sie, die Ärztin, dann ebenfalls aktiv würde? Selbstverständlich, sagt sie, nachher kann immer noch geklärt werden.

Ich bin perplex und meine, sollte ich «NoCPR» gestempelt sein, würde bei einem Wiederbelebungsversuch definitv meinem Willen, meiner Integrität zu wider gehandelt. Ob dann bei entsprechenden, nachfolgenden Einschränkungen wenigstens das Vorgenommene rückgängig gemacht werde?

Selbstverständlich nicht.

Die Runde diskutiert heftig. Meine Haltung wird bloss von Doris gestützt. Für alle andern gilt lebensrettende Massnahmen, auch wenn sich der betroffene Mensch, genau in dieser Situation wünscht, sterben zu dürfen.

Das Gespräch tost wellenförmig hin und her. Zu einer einheitlichen Meinung finden wir nicht. Denn der Druck der helfenden Person auf Handeln und die Angst, nicht richtig zu handeln ist zu gross, als dass in solch einer Situation über Integrität und den eindringlichen Wunsch der Patientin nachgedacht werden kann.

 

27 Gedanken zu “nachdenken

    1. … nicht durch die reanimation, aber durch die situation, dass das hirn durch einen vorangegangenen herzstillstand (zb) mit während weniger minuten nicht mit genügend sauerstoff versorgt wird, kommt es zu schädigungen im hirn, das die notwendigen impulse für alle unsere funktionen sendet.

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      1. nicht nur, denn das reanimieren benötigt unglaublich viel kraft und die braucht es, bis dass das sanitätsteam neben einem steht (je nach unfallort dauert es 15 minuten und länger). da bin ich mir nicht sicher, ob ich die herzmassage durch schnelles, kraftvolles drücken (unter dem einsatz des ganzen körpers) leisten könnte. ich glaube nicht, denn beim üben war ich schon nach 30 mal impuls geben am limit – und so gesehen kommt dieses risiko noch zusätzlich hinzu. ich hoffe, ich war präzise genug.

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      2. Da man es aber nie weiß, ob jemand geschädigt wurde oder nicht, reanimiert man eben. Und selbst wenn eien Schädigung vorhanden ist, heisst das nicht zwangsläufig, dass das Leben nicht mehr lebenswert ist, auch wenn man sich das heute, als gesunder Mensch schwer vorstelln kann.
        Ich wurde reanimiert, ich habe überlebt und ich habe keinen Schaden davon getragen.
        Meine Haut trüge definitiv den Stempel: bitte CPR!

        Eine interessante moralische Frage, die Du hier aufwirfst, geht sie letztenendes um den freien Willen, Selbstbestimmtheit und den Wert des Lebens, mit oder ohne Schädigungen.

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      3. wie recht du hast.
        wer sich die frage nicht stellt, wird sie auch nicht beantworten können und wäre vielleicht froh, er/sie hätte sich diese frage früher gestellt.

        und dann: macht es für mich einen wesentlichen unterschied, ob ein junger, äusserlich gesehen unversehrter mensch reanimiert wird, oder ein alter mensch, der sich (möglicherweise in einbezug seines umfeldes) damit vorgängig intensiv damit auseinander gesetzt hat, nicht mehr reanimiert werden will und dies entsprechend kund tut, zb mit einem «nocpr».

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      4. Ein sehr schwieriges ethisches Thema. Geht es doch um den Wert des Lebens, ds in unserer Gesetzgebung, ganz gleich ob todgeweiht oder nicht, immer gleich viel Wert hat.

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      5. da geb ich dir recht. und darum bin ich froh, dass dies in unserer gesellschaft seine gültigkeit hat! soviel zu teil eins.

        zu teil zwei – da bin ich der meinung, dass (m)ein ur-persönlicher wille respektiert werden sollte, der zb schriftlich formuliert worden ist und explizit keine lebensverlängernden eingriffe wünscht.

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      6. In Bezug auf Punkt zwei gebe ich Dir völlig Recht. Nur denke ich, dass Reanimation nicht zu weretn ist als lebensverlängernde, sondern als lebensermöglichende Maßnahme. Ein Unterschied, wie ich finde.

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      7. … ich denke, dies ist gerade der knackpunkt / die diffiziele ausgangslage für viele – auch für Ersthelfende: ist WIEDER-Belebung lebensermöglichend oder lebensverlängernd?

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      8. Das ist in der Tat schwer zu entscheiden. Da aber Wiederbelebung eine Maßnahme ist, die nur wenige Sekunden bzw. Minuten dauert, wird man sie eher den ermöglichenden, denn den verlängernden zurechnen.
        Deine Patientenverfügung hätte demnach erst im Anschluss Gültigkeit, wenn nämlich Du evtl. nach eienr Rea komatös wärest und man Dir Deinem Wunschgemäß die Geräte abschalten müsste, um nicht Dein Leben gegen Deinen Willen zu verlängern. Insofern finde ich die Rechtslage gerade ganz gut.
        Sie schützt ja auch Menschen davor, sich dem Erwartungsdruck der Umwelt beugen zu müssen und auf ein Weiterleben trotz Pflegebedürftigkeit zu verzichten.

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  1. Dieses Dilemma kenne ich. Wenn wir bei uns im Haus Rea-mässig unterwegs sind, dann müssen wir reanimieren bis der dazu geholte Arzt entscheidet , ob wir aufhören oder weiter machen. Und das sind oft schwerstkranke Patienten bei denen das nötig ist. Wenn du nichts machst, ist das unterlassene Hilfeleistung. Selbst wenn du ganzkörpertätowiert bist mit Do not reanimate, und 99 Jahre alt bist, muss das gemacht werden. Und die Spätfolgen sind oft erheblich. Aber es gibt auch Fälle, wo eine sogenannte Laienreanimation erfolgreich war. Und der Patient froh ist um sein Leben. Grüsse Kat.

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    1. … in diesem dilemma möchte ich mich nicht befinden, in dem du durch deinen beruf unweigerlich gezwungen bist, zu sein.
      und wie ist es, bei einer patientinnenverfügung, in der «do not reanimate» steht, beschrieben wird in welchem fall, zb bei schwerst kranken patientinnen, die in solchen fällen sich nichts sehnlicher als das sterben wünschen?
      lieber gruss. barbara

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      1. Was ich feststelle ist,dass trotz Patientenverfugung es ganz wichtig ist,dass der jenige,der damit beauftragt ist,viel Sicherheit und Standvermögen gegenüber den Medizinern hat,um es auch durchzusetzen. Allerdings wird bei uns das Nicht-reanimieren in solchen Fällen respektiert wenn es bekannt ist.zum Glück. Ich denke das ist die Regel. Wenn du krank in die klinik gehst und solche eine Verfügung hast,dann wird sie respektiert.

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  2. Oh ja, das ist eine schwierige Frage, die ich mir auch bei jeder Erste-Hilfe- Auffrischung stelle. Ziemlich bedrohlich finde ich auch den Defibrilator, der gesetzeskonform an meinem Arbeitsplatz hängt. Ich hoffe inständig nie in die Lage zu kommen ihn bedienen zu sollen. Genausowenig wollte ich, dass ein anderer eigentlich inkompetenter Mensch dieses Gerät an mich ansetzt …
    Die Erste-Hilfe-Trainer möchten immer allen einhämmern, dass das Schlimmste in einer Notsituation wäre, gar nichts zu tun. Ich sehe das nicht so. Inkompetente Hilfeleistung, die womöglich zu Behinderungen führt ohne dass der Betroffene gefragt werden konnte, finde ich schlimmer.

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    1. Da bin ich, ma chère amie, aus gutem Grund ganz anderer Meinung.
      Ein Defibrillator ist kinderleicht anzuwenden und rettet, wie in meinem Fall, oft genug Leben.
      Es gibt Schlimmeres, als Behinderungen. Zum Beispiel tot sein.

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  3. Da triffst du ja genau auf ein Thema, was vor kurzem so in der Familie stattgefunden hat. Meine Cousine (fast 77) ist vor einiger Zeit am offenen Herzen operiert worden und hatte dementsprechend eine große, inzwischen aber gut verheilte Narbe.
    Sie sitzen zu viert am Tisch und sie fällt vom Stuhl. Es war unter den Gästen sogar ein Arzt, der aber keine Reanimation gemacht hat, weil er die Narbe sah und sich nicht traute.
    Als der Rettungswagen kam, konnten sie zwar durch Elektroschocks das Herz wieder zum Schlagen bringen, aber das Hirn war tot – zu lange ohne Sauerstoff. Und so lag sie dann noch über zwei Wochen, bis sie sterben „durfte“.
    Ich habe in meinem Portemonnaie und im Schlafzimmer eine Patientenverfügung, die auch eine Reanimation verbietet. Aber wie ich lese, würde auch ein Tätowieren: „KEINE REANIMATION“ im Ernstfall nichts nützen – ich hätte aber doch die Hoffnung, dass es nützt.
    Eine Woche nach meiner Cousine gab es noch einen zweiten Fall – sie, selbst Ärztin, hatte seit 1,5 Jahren Lungenkrebs. Es musste eine Bronchoskopie gemacht werden unter Narkose, die im Normalfall harmlos ist. – Sie hatte ausdrücklich in ihrer Patientenverfügung festgelegt, dass sie bei Herzstillstand NICHT reanimiert werden will. – Ihr Freund wusste von dieser Verfügung, hatte aber dennoch Schwierigkeiten, dass die Elektroschocker nicht eingesetzt werden. Sie hat gewusst, wie schlimm ein Ende mit Lungenkrebs ist – und das hat sie sich auf diese Weise erspart.
    Auf einen dritten Fall in der Familie kann ich gern verzichten – ich möchte es auch nicht sein.

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    1. ja, genau in solchen situationen wird oftmals gehandelt. viele würden gerne darauf verzichten, dass sie mit einer krankheit, mit der sie am rande zwischen leben und tod stehen, sie nochmals zurückgeholt werden (auch im denken an folgen mit eingeschränkter mobilität)!
      p.s. möglicherweise wird der stempel «keine reanimation», der ja regelmässig wiederholt werden muss, in verschiedenen ländern / kantonen anders gehandhabt.
      danke.

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      1. Aber bei meiner Cousine war es anders – sie hätte gern noch gelebt, ihre Verwandten hätten es auch gern gehabt – vielleicht hätte ihr die Reanimation des Arztes im Restaurant das Leben gerettet – vielleicht hat es nicht sollen sein.

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      2. ja, sorry stimmt. war mit meinen gedanken wohl eher am andern ende des lebens. möglicherweise hätte es ihr geholfen, allenfalls hätte die wunde die harte wiederbelebungsmethode nicht ausgehalten. vielleicht war es so geschwächt, dass – wie du schreibst – es letztlich vielleicht nicht hat nicht sein sollen.

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      3. Ist die Vorstellung von eingeschränkter Mobilität tatsächlich so erschreckend, dass man lieber tot wäre? Das erschreckt mich wiederum sehr und ich finde auch, dass es die Qualität und den Wert des behinderten Lebens unterschätzt und ungerechtfertig abwertet.

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      4. nein ist es nicht!
        aber vielleicht bin ICH froh (um nur von mir und für mich zu reden) – wenn ich alt und/oder sehr krank bin -, wenn ein natürliches lebensende, was ja ein infarkt ebenfalls ist, mein lebenskreislauf sich natürlich beendet und keine re(wieder)-animation(belebung) mein abgerundetes leben auf unnatürliche weise verlängert.

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  4. Was für ein Thema Barbara und was ich eben alles nachgelesen habe in den Kommentaren, bin ich ganz und gar bei DIR !
    Ich habe auch eine Patientenverfügung, die bei mir zu hause und bei meiner Tochter liegt und möchte keinesfalls mit aller Gewalt am Leben erhalten werden.
    Zweimal habe ich es mitmachen müssen, einmal in der Familie und einmal im Freundeskreis und bei beiden war das Hirn zulang ohne Sauerstoff. Meine Freundin lag dann 4 Jahre im Wachkoma und ich kann es mit Worten nicht ausdrücken, wie ich mit gelitten habe.
    Natürlich ist es von Fall zu Fall anders, aber wenn man keine wirklich reelle Chance sieht, dass der Mensch ohne Schaden weiter lebt, dann gibt es für mich nur diese *NO Entscheidung !!!

    LG Uschi

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