Jeden Pullover habe ich aus dem Kasten gezerrt, auch die ältesten, die ich seit Jahren nicht mehr trage. Jeden habe ich geöffnet, gegen’s Licht gehalten und abgesucht nach diesen kitzekleinen Löchern.
Und so wurde ich wegen eines unscheinbaren Lochs zur Kammerjägerin. Das erste entdeckte ich zufälligerweise in meinem mir liebsten Pullover, dem hellen blauen aus Kaschmirwolle und daraufhin ein zweites in der violetten Jacke, auch sie ein Herzensstück, so wie jeder Pullover in meinem Schrank.
Nun habe ich sukzessive jedes wollene Teil gewaschen, wieder eingeräumt und Mottenblätter dazu gestellt. Obwohl der Sack der Textilsammlung bereit lag, habe ich es dieses Mal nicht geschafft, einen einzigen Pullover wegzugeben – selbst, die seit Jahren nicht mehr getragenen.
Schliesslich schützte und wärmte mich jeder. Schliesslich begleitete mich jeder und erinnert mich deshalb an eine gewisse Zeit.
Der stahlblaue (15-jährig) an den Besuch bei meiner langjährigsten Freundin in Hamburg. Der braune (12-jährig) an die Filmfestivals in Locarno. Der schwarze (22-jährig) an meine zweite Frauenliebe und unsere erste gemeinsame Wohnung in Zürich.
Und so werden Schrank und Pullover in Anlehnung an Louise Bourgois zum Hort der Erinnerungen, die wiederum meine Dokumente sind.
Schöne Kleider in guter Qualität verändern ihren Charakter nicht. Dementsprechend kann ich weder Kleider noch positive Erinnerungen anderer Art ebenfalls nicht wahllos wegwerfen. Das Modediktat habe ich übrigens noch nie verstanden. Es ist asozial, da es zu Ausgrenzungen vor allem bei Jugendlichen führt.
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